Kampfkunst

Kalter Stahl und blaue Flecken

Von Arno Cincelli

Im Jahr 1511 verfügte Kaiser Maximilian I. im Landlibell, dass die Tiroler selbst für die Verteidigung ihres Landes verantwortlich sind. Die Übung mit Waffen wurde Pflicht für jeden Innsbrucker. Dies war der Ursprung des Schützenwesens. Aber auch mit anderen Waffen wird heute noch nach historischem Vorbild trainiert.

Bild: Angela Tröber
Zwei Mitglieder der Reenactmentgruppe Klyatwa Veles beim Training im Rahmen eines Winterlagers.

„Nein, besondere Ausrüstung brauchst Du nicht“, hat Matthias Michalak vor dem ersten Treffen gemeint, „außer vielleicht ein Paar feste Handschuhe.“ Wie ein Bär sieht er aus, trotz einem leichten Hang zum Übergewicht wirkt er durchtrainiert. Ein langer schwarzer Vollbart, um den ihn möglicherweise sogar Andreas Hofer beneidet hätte, lange schwarze Haare. Noch sechs weitere Personen warten vor dem Haus auf der Hungerburg darauf, endlich in den Wald zu gehen und zu trainieren. Insgesamt sind es drei Frauen und vier Männer, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, die sich hier getroffen haben.

Die Gruppe, zu der die meisten gehören, trifft sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zum Training, oder um gemeinsam Ausrüstungsgegenstände herzustellen. Jeder von ihnen hat eine Vorliebe für das Mittelalter. Manche interessieren sich für die Darstellung aller Lebensbereiche vergangener Zeiten, sogenanntes Reenactment. Andere kommen nur, weil sie sich für alte europäische Kampfkünste interessieren.

Vorlage Fechtbücher

Während des kurzen Marsches durch den Wald zum Übungsplatz stellt „Lupo“, wie Matthias Michalak von allen genannt wird, die beiden Neulinge des heutigen Tages den Anderen vor. Er erklärt kurz, worum es eigentlich genau geht. „Was wir heute über die mittelalterlichen Kampfkünste wissen, bezieht sich hauptsächlich auf Fechtbücher aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Wir versuchen durch das Üben und auch durch Parallelen zu bekannteren, oft asiatischen Stilen, sie zu rekonstruieren.“

Schwerter, Säbel, Schilde, Dolche oder Speere sind die Waffen mit denen hier trainiert wird. Natürlich sind sie alle stumpf. Die Gruppe orientiert sich an den Büchern der sogenannten deutschen Schule, beispielsweise von Hans Thalhofer, dessen Werk Albrecht Dürer in Bildform übertragen hat. Allein in und um Innsbruck gibt es mindestens fünf verschiedene Gruppen, die sich mit diesen alten Kampfkünsten beschäftigen.

„Am Anfang muss bei uns jeder mal zuerst mit dem Anderthalbhänder üben“, grinst ein junger Mann, der sich mit Dennis vorgestellt hat, und drückt den Neulingen je ein Schwert in die Hand. Er trägt eine weite Pluderhose und ein Hemd, das er als Tunika bezeichnet. Beides ist selbstgenäht. Als er das Schwert loslässt, spürt man das Gewicht dieser mehr als einen Meter langen Waffe, die Hand sinkt rasch zu Boden. „Schön festhalten“, ruft Matthias Michalak, „die Dinger sind schwer!“ Er erklärt, dass zuerst jeder die Grundschlagtechniken üben muss, und dabei auch, die Schläge sauber abzustoppen. Erst wenn man ordentlich stoppen kann, darf man mit einem Partner üben. Alles andere wäre zu gefährlich. Er deutet mit ernstem Gesicht auf ein paar blaue Flecken auf seinem Oberarm und an seinem Oberkörper. Lupo trainiert grundsätzlich ohne Schutzkleidung. „Da passt man besser auf sich selbst und andere auf“, meint er.

Schiesstand und „dreynschlagen“

Durch das Landlibell von 1511 wurde in der Tiroler Verfassung festgelegt, dass die Tiroler selbst für die Landesverteidigung verantwortlich sind. Dazu mussten die Männer regelmäßig Waffenübungen abhalten, der Grundstein des heutigen Schützenwesens. Auf Schießständen wurde an der Treffsicherheit mit der Büchse und der Armbrust gearbeitet, zumeist sonntags. „Zugleich war das Aufmarschieren auf den Schießplatz ein bisschen eine Festivität, und das hat ganz gut zum Sonntag gepasst“, erklärt der Historiker Franz Heinz Hye Kerkdal. Er vermutet, dass sich die Übungen vor allem auf das Schießen allein beschränkt haben dürften. Ein Schütze dürfte als Nahkampfwaffe höchstens einen Dolch besessen haben. Andererseits erlaubte das Landlibell den Tirolern sogar, ein zweischneidiges Schwert zu tragen. Das war überall sonst eigentlich ein Vorrecht des Adels. Dazu kommt die weite Verbreitung der Fechtbücher zu dieser Zeit. In dem Werk von Paul Hector Mair wird sogar auf die Handhabung sogenannter Bauernwaffen, wie zum Beispiel Dreschflegel, eingegangen. Daraus schließt Matthias Michalak, dass durchaus auch die Übung des Nahkampfes um 1511 ein Thema war.

Endlich zeigt Lupo gemeinsam mit Dennis den Neulingen auch Verteidigungstechniken. Beim Versuch diese nachzuahmen sieht man schnell, warum zuerst saubere Schläge und das Stoppen geübt werden müssen. Es hat sich eindeutig gelohnt, schwere Motorrad-Handschuhe anzuziehen. Obwohl alle sich bemühen und sehr vorsichtig sind, kommt der eine oder andere blaue Fleck dazu. „Mehr passiert aber eigentlich nicht. Wenn jemand nicht aufpasst, hat er beim Training nichts zu suchen“, versichert Matthias Michalak.

Wenn die Schusswaffe abgefeuert war, oder die Entfernung zu gering, musste man eben „dreynschlagen“, wie es Franz Heinz Hye Kerkdal ausdrückt. Hier kam dann eben auch der Dolch zum Einsatz. Sowohl zur Verteidigung, als auch zum Angriff. Ein Dolch verfügt über eine Parierstange zum Schutz der Hand. Die Länge der zweischneidigen Klinge kann sehr unterschiedlich sein. Er ähnelt einem kleinen Schwert.

Bild: Arno Cincelli
Ein stumpfer Übungsdolch aus Stahl mit passender Lederscheide.

„Zur Verteidigung mit dem Dolch kann man zustechen oder draufhauen. Je nachdem, wie man ihn hält“, erklärt Lupo. Verständnislose Gesichter der Neulinge. Lupo nimmt einen Dolch wie ein Schwert in die rechte Hand und bittet Dennis, einen Schlag mit seinem Säbel auf ihn zu zeigen. Er sticht nach der Klinge und tatsächlich „fängt“ er so den Streich zwischen Parierstange und Klinge ab. Das war also zustechen. Nun nimmt er den Dolch verkehrt in die Hand, die Klinge zeigt nach hinten. Dann, als ob er mit seiner Faust von oben auf den Säbel schlagen will, führt er diesmal den Dolch gegen den Angriff. Wieder dient der Winkel zwischen Klinge und Parier zum Schutz der Hand. Die Gruppe übt mit vielen unterschiedlichen Waffen. „Damals konnte man ja auch nicht wissen, welche Waffe der Gegner hat“, meint Dennis dazu.

Klyatwa Veles

Die Mitglieder dieser Reenactmentgruppe haben sich den Namen Klyatwa Veles gegeben. Nach einer alten Gottheit des Handels aus dem russischen Raum, da sie bei ihren historischen Darstellungen einen Schwerpunkt auf die sogenannten Rus-Wikinger aus der Zeit um 1000 n. Chr. legen. Trotzdem üben sie nach den Vorgaben der Fechtbücher der deutschen Schule. Sie glauben, dass sich in diesem Bereich nicht allzuviel verändert haben dürfte. „Einem Menschen sind nun einmal nur bestimmte Bewegungsabläufe möglich. Und wenn sie funktionieren, werden sie eben weitergegeben“, spekuliert Matthias Michalak. Für diese Vermutung spricht, dass auch der Begründer der, mit 100 Jahren relativ jungen, japanischen Kampfkunst Aikido, Morihei Ueshiba, sehr verwundert gewesen sein soll, als er die Kupferstiche von Dürer gesehen hat. Er konnte sich nicht erklären, warum diese Aikido-Techniken zeigten, die er selbst ja erst 400 Jahre später entwickelt hatte.

Nach mehreren Stunden bricht Lupo das Training ab. Trotz der Blessuren, die die meisten abbekommen haben, sieht man nur lachende Gesichter. Jeder hatte sichtlich Spaß an dem Nachmittag. Dennis meint am Rückweg lächelnd: „Warte nur auf den Muskelkater, du bist es ja nicht gewohnt!“ Er sollte recht behalten.


Weblinks:
Homepage der österreichischen Schaukampfgruppe Dreynschlag
Wikipedia-Artikel Deutsche Fechtschule
Klyatwa Veles

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